Ein wichtiger Tag für den Sustainable-Finance Standort-Europa
Durchbruch beim EU-Lieferkettengesetz
Bonn, 01. Juni 2023 — Mit der heutigen Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) im Europäischen Parlament wurde ein Durchbruch für nachhaltiges globales Wirtschaften erzielt und der Weg für den weiteren Abstimmungsprozess zu der Richtlinie geebnet. Angenommen wurde auch ein Passus, der die menschenrechtliche und umweltbezogene Pflichten von Investoren und Vermögensverwaltern definiert.
Ulrike Lohr vom Bonner SÜDWIND-Institut kommentiert dazu: „Wir begrüßen die Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Vorlage des Europäischen Lieferkettengesetzes am heutigen Tag. Denn damit werden auch erstmals verbindliche Vorgaben für menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für Finanzdienstleister gemacht. Uns freut besonders, dass trotz aller Lobbybemühungen die Bestimmungen über die Sorgfaltspflichten für institutionelle Investoren und Vermögensverwalter (Art 8a) ebenfalls angenommen wurden.
EU-Lieferkettengesetz wichtig für Hebelwirkung des Finanzsektors
Dies ist ein guter Tag für den Sustainable-Finance-Standort Europa. Denn nur mit einem Europäischen Lieferkettengesetz, dass die Anforderungen an die Umwelt- und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten für Finanzdienstleister ausbuchstabiert, kann sich die Hebelwirkung des Finanzsektors entfalten. Damit wird Europa von einem Finanzplatz, der bisher lediglich transparent über Missstände berichtete, auch zu einem Standort, in dem Finanzdienstleister dafür Sorge tragen müssen, Verstöße gegen Umwelt oder Menschenrechte in ihren Geschäftsbeziehungen zu beheben.“
Gertrud Falk von FIAN Deutschland hebt hervor: „Mit dem Parlamentsbeschluss wird es für institutionelle Investoren wie z.B. Pensionseinrichtungen in Zukunft schwieriger, Gewinne auf Kosten der Menschenrechte und des Umweltschutzes machen. Angesichts der gut dokumentierten Menschenrechtsverstöße und Umweltschäden werden zum Beispiel Pensionseinrichtungen wie der schwedische Andra AP-fonden (AP2) oder der holländische Stichting Pensioenfonds ABP ihre Investments von mehr als einer Milliarde Euro in die US-amerikanische Landfonds überdenken und wahrscheinlich zurückziehen müssen. Durch diese Investments wurden in der waldreichen brasilianischen MATOPIBA-Region riesige Landflächen von etwa 100.000 Hektar teilweise illegal angeeignet und zahlreiche traditionale und indigene Gemeinschaften vertrieben. Dieser Fall verdeutlicht, wie verantwortungslose Investments gravierende Menschenrechtsverletzungen und enorme Umweltschäden ermöglichen. Sie mit der heute verabschiedeten EU-Parlamentsposition einzubeziehen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gewährleistung der Menschenrechte in den nachgelagerten Wertschöpfungsketten.“
Dringender Nachbesserungsbedarf in Trilogverhandlungen
„Auch wenn Finanzdienstleister in dem vom Parlament gefundenen Kompromiss einbezogen werden, weist der Beschluss dennoch entscheidende Schwächen auf. So beschränken sich die Pflichten der Finanzdienstleister auf ihre Geschäfte mit direkten Großkunden. Damit ist beispielsweise die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen, die die Menschenrechte missachten, weiterhin möglich. Hier besteht noch dringender Nachbesserungsbedarf in den kommenden Trilogverhandlungen“ ergänzt Pablo Campos vom SÜDWIND-Institut.
Sophia Cramer von FIAN Deutschland fügt hinzu: „Es ist sachlich auch nicht nachvollziehbar, warum Finanzdienstleister nicht dieselben menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten haben sollen wie Unternehmen der Realwirtschaft. Besonders eindrücklich zeigt sich das bei der zivilrechtlichen Haftung, von der nach EU-Parlamentsposition alle Finanzdienstleister ausgenommen werden sollen.“
Hintergrund
SÜDWIND e.V. und FIAN Deutschland sind Teil der Initiative Lieferkettengesetz, einem Bündnis von über 130 Organisationen, die sich für ein starkes EU-Lieferkettengesetz einsetzen.
Nachdem die Europäische Kommission im Februar 2022 einen Entwurf für die Regulierung vorgelegt hat und sich der Rat im November 2022 dazu positionierte, hat am heutigen Donnerstag das Europäische Parlament nach langem Aushandlungsprozess über seine Position abgestimmt.
Positiv am gefundenen Kompromiss bewerte die Initiative Lieferkettengesetz die klare Anforderung an Unternehmen, eigene Einkaufspraktiken anzupassen und Verträge mit Zulieferbetrieben fair zu gestalten. Es werden umfangreich Menschenrechte berücksichtigt, z.B. auch das Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen und einen existenzsichernden Lohn. Eine Schwachstelle weist der Kompromiss im Bereich der zivilrechtlichen Haftung auf. So werden zwar Klagemöglichkeiten für Betroffene geschaffen. Es besteht aber weiter eine hohe Hürde, diese auch wahrzunehmen, denn es fehlt an einer fairen Verteilung der Beweislast in Klagefällen.
Kontakt
Ulrike Lohr
SÜDWIND Institut
Tel.: 0228-763698-17
lohr@suedwind-institut.de
Gertrud Falk
FIAN Deutschland
Tel.: +49 151 56 99 62 78
g.falk@fian.de
Pressemitteilung
Weitere Veröffentlichungen der Autor*in finden Sie hier:
Sie wollen spenden oder Mitglied werden?
SÜDWIND tritt seit über 30 Jahren für wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit ein. Aus diesem Grund arbeiten wir zu einem breiten Spektrum von Nord-Süd-Themen mit dem Ziel, ungerechte Strukturen aufzudecken, öffentlich zu machen, Handlungsalternativen zu bieten und so zu Veränderungen beizutragen. SÜDWIND ist dabei inhaltlich und finanziell unabhängig. Um gemeinsam mehr zu erreichen, kooperieren wir mit Akteur*innen auf lokaler, europäischer und globaler Ebene, mit Gewerkschaften, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und Kampagnen. Wir forschen zu Themen wie Entwicklungszusammenarbeit, Frauen und Weltwirtschaft, Klimagerechtigkeit Nachhaltigkeit auf Finanzmärkten, zu Rohstoffen und Wertschöpfungsketten sowie zu Sozialstandards im Welthandel. In Deutschland verbinden wir unsere Recherchen mit entwicklungspolitischer Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Wir sind überzeugt: Dort, wo Menschen unter den Auswirkungen des globalen Wirtschaftssystems leiden, besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Reichtum einiger weniger und der Armut vieler Menschen. Hierfür sind ungerechte wirtschaftliche und politische Strukturen verantwortlich und wir wollen dazu beitragen, diese zu ändern.